Schneeflocken sind die Seelen, die hochgeflogen, Die fortgezogen und der Erde zum Leben fehlen, Jetzt gleiten sie nieder und verbreiten Licht Und bescheinen geisterhaft jedes Gesicht. Der Schnee kommt aus der greisen Ewigkei t, Und er taut fort wie die Zei t , Eh du sie noch beschaut. Schau nicht zu lang in den Schnee Und nicht in den Schneeflockentanz! Dein Sinn wird grau, denn ohne Sang Ist ihr endloser Gang, wie Jahr um Jahr, Und sie flechten, wie das Alter ins Haar, Einen weißen leblosen Kranz. Wenn Schneeflocke bei Schneeflocke fällt, Und wohin die Schneeflocke faßt, Wachsen die Berge der ganzen Welt Und wachsen mit Hast sich selber zur Last. Die Wel t wird entstel l t und verblaßt, Als ob die Schrift eines Buches zerfällt; Und die Welt scheint schier weißes Papier. Eine Mondscheib' wird aus dem Erdleib, Geh oder bleib, du sinkst ein, Jeder Gedanke wird dir schwer und friert an den Stein, Denn ein Schlaf ohne Schranke l iegt umher, Und das weiße unendl iche Nichts wird dein; Die Unendl ichkeit läßt dich zu sich hinein. Befrei t von deiner Gestal t und der Zei t Wirst du wie Schnee so weiß und so kalt. Hattest du vorher wenig Gewal t und warst klein, Wirst du groß jetzt ein Nichts und vol l Ewigkei t sein, Dein Sein und dein Nichtsein schl ießt jede kleine Schneeflocke ein. Sie, die vor deinem Atem zerfl ießt, Die in deiner warmen Hand schnel l zerfäl lt, Wenn sie als Wand in deinen Weg sich stellt. Wird der eine des andern Geschick, Und schwer überlebt ein Auge den Schneebl ick. Max Dauthendey 1867-1918
RkJQdWJsaXNoZXIy MjA3NjY=